Antwortbriefe auf den Brief des Bischofs an die Priester im Bistum
Christian Ammersbach, Schweinfurt schrieb im November 2009 an den Bischof:
Sehr geehrter Herr Bischof,
vielen Dank für Ihren Brief an die Priester im Bistum Würzburg. Es freut mich
sehr, dass Sie mit Ihren Gedanken nicht nur uns Priester stärken wollen, sondern
auch den Dialog mit uns suchen.
So komme ich gerne Ihrer Bitte nach, auf Ihren Brief zu antworten.
Ja, im Zölibat geht es nicht in erster Linie um einen Verzicht, sondern um eine
spezifische Weise, Gottes Liebe in meinem Leben Raum zu geben und
weiterzuschenken. Genauso wie das auch bei einer christlich gelebten Ehe der
Fall ist. Die Liebe Gottes ist zugleich universal und ganz persönlich. Die
zölibatäre Lebensform hat den ersten, die christliche Ehe den zweiten Aspekt zum
Schwerpunkt. Wichtig ist mir hier der Begriff Schwerpunkt:
Denn in einer Ehe kann es nicht darum gehen, der Liebe Gottes nur in der
Zweisamkeit Raum zu geben. Sie weiterzuschenken an Kinder und über die Familie
hinaus gehört auch dazu. Genauso ist dies umgekehrt auch bei der zölibatären
Lebensweise der Fall. Die allen Menschen geltende Liebe Gottes zu bezeugen soll
der Schwerpunkt des Lebens sein. Aber dies ist nur möglich, wenn ich in
freundschaftlichen Beziehungen auch persönlich die Liebe Gottes erfahren kann.
Mir hilft hier das Bild der Ellipse weiter:
Die gesamte Fläche der Ellipse steht für die Liebe Gottes. Die zwei Brennpunkte
stehen für die beiden Lebensformen Ehe und Zölibat. Ich denke, nur so können wir
verhindern, dass die beiden Lebensformen gegeneinander ausgespielt werden. Ihre
Formulierung "Das Fehlen des menschlichen Du's in der Ehe soll durch eine
ganzheitlich gelebte Gottesbeziehung aufgefangen werden" suggeriert leider genau
dieses Gegenüber.
Solange wir behaupten, dass für eine Lebensform eine ganzheitliche
Gottesbeziehung wichtiger sei als für die andere, spielen wir beide
gegeneinander aus. So wenig wie die zölibatäre Lebensweise ohne ganzheitliche
Gottesbeziehung lebbar ist, so wenig gelingt eine christliche Ehe ohne eine
solche.
"Ganzheitlich" ist eine Gottesbeziehung ja dann, wenn sie nicht nur eine
geistige Wirklichkeit ist, sondern auch im menschlichen Miteinander erfahrbar
ist. Gottes- und Nächstenliebe sind ja nicht "zwei paar Stiefel", sondern zwei
Dimensionen der einen Liebe. Wir dürfen sie niemals gegeneinander ausspielen!
Die Sorge um die eigene Gottesbeziehung schließt also immer auch die Sorge um
meine mitmenschlichen Beziehungen ein, und das zunächst einmal unabhängig von
der gewählten Lebensform. Auch ein zölibatär Lebender muss beides im Blick
haben: Die eigene Gottesbeziehung (d.h. mein spirituelles Leben, regelmäßige
Exerzitien, geistliche Begleitung) und meine persönlichen Beziehungen zu
Mitmenschen (Kontakt zu Gemeindemitgliedern, zur eigenen Verwandtschaft, Pflege
von Freundschaften, Mitbrüderlichkeit im Kollegenkreis).
Und genau bei dem zweiten Aspekt zeigen sich heute zahlreiche Schwierigkeiten:
Die emotionale Beheimatung in einer (!) Gemeinde, die ein Priester früher
erleben konnte, fällt im Zuge der Ausweitung der Verantwortungsbereiche immer
mehr weg. Ich war Kaplan in einer Pfarreiengemeinschaft mit 15 (teilweise sehr
kleinen) Dörfern. Dem Pfarrer war es sehr wichtig, zumindest die acht größeren
Dörfer alle gleich zu behandeln. Dass wir zufällig in dem einen Dorf wohnen,
sollte keine Rolle spielen. Die Folge war, dass ich mich (auch durch das strenge
Rotationsprinzip der Gottesdienste) die zwei Jahre dort weitgehend als Aushilfe
gefühlt habe. In nicht wenigen Pfarreiengemeinschaften führen Gemeindemitglieder
aus Angst zu kurz zu kommen genau Buch, wie oft der Pfarrer sich in welchem Dorf
hat sehen lassen. Wie soll er sich angesichts dieses Rechtfertigungsdrucks
irgendwo beheimatet fühlen? Freundschaften innerhalb der Gemeinde zu pflegen,
kann sehr unterstützend wirken, hat aber auch seine Grenzen. Als Pfarrer in
Elsenfeld war ich öfters (und bin es heute noch) bei einer jungen Familie zu
einem Spieleabend eingeladen. So gut dieser Kontakt tat, wenn das Gespräch auf
das Pfarreileben kam, musste ich aus Diskretionsgründen immer aufpassen, was ich
sage.
Meine Probleme, die ich z.B. mit bestimmten Personen in der Pfarrei habe, kann
ich nicht einfach vor anderen ausbreiten.
Bleiben Freundschaften außerhalb der Gemeinde. Hierbei ist das Problem, dass ich
angesichts der geografischen Distanz mehr Zeit (am Stück) einplanen muss, um
solche Beziehungen zu pflegen. Der freie Tag, der sich hier anbietet, ist unter
der Woche, während andere aber arbeiten müssen.
Der mangelnde Kontakt unter Mitbrüdern hat sicher viele Gründe. Zum einen
organisatorische: Angesichts der vollen Terminkalender ist es schwierig, Zeiten
für gemeinsame Treffen zu finden. Zum anderen wollen meinem Eindruck nach sich
viele auch nicht "in die Karten schauen lassen", weder was ihre pastoralen
Entscheidungen betrifft, noch ihr persönlicher Umgang mit dem Zölibat, o.ä.
Meine Vermutung ist, dass manche so sehr von einem hierarchischen
"oben-unten"-Denken geprägt sind, dass sie es nicht gewohnt sind, "auf
Augenhöhe" anderen zu begegnen.
Sehr gut tun mir da die regelmäßigen Treffen mit Mitbrüdern in der
Pfarrerinitiative. Ich habe meine Entscheidung, zölibatär zu leben nicht bereut
und weiß mich zugleich auf der Suche danach, wie ich ein gutes Beziehungsnetz
pflegen kann. Auch nach mehr als 10 Jahren als Priester habe ich keine "Lösung".
Hilfreich sind jedenfalls nicht "gute Katholiken", die meinen, bei zuviel
"Frauenkontakt" den Bischof einschalten zu müssen.
Das klassische Haushälterinnen-Modell halte ich nicht für realistisch. Zum einen
natürlich, weil heute kaum noch eine Frau zugunsten dieses Berufs selber auf Ehe
und Familie verzichten möchte. Zum anderen aber vor allem aus theologischen
Gründen. Ich kenne ältere Priester, die im Ruhestand noch immer mit ihrer
Haushälterin zusammen leben und sich im Alter gegenseitige Stütze sind. Das ist
zum einen ja begrüßenswert. Zum anderen aber stellt sich dann doch die Frage:
Worin unterscheidet sich diese Lebensform noch von einer Ehe? Man teilt alles
miteinander außer der körperlichen Intimität. Hier wird der Zölibat auf sexuelle
Enthaltsamkeit reduziert. Sicher, so wurde er in der Kirchengeschichte auch
immer wieder begründet: Gelebte Sexualität ist etwas unreines und widerspricht
damit dem Priesteramt. Ich denke, wir müssen uns klar von diesem Denken
distanzieren. Noch zu viele Menschen sehen den Zölibat als Ausdruck einer
leibfeindlichen Einstellung der Kirche und lehnen ihn deshalb ab. Genauso wie
sich das Eheverständnis der Kirche gewandelt hat, muss es auch beim
Zölibatsverständnis geschehen:
Während die Ehe früher als eine Art Vertrag gesehen wurde, mit dem ich
hinsichtlich gemeinsam gelebter Sexualität Rechte erhalte und Pflichten eingehe,
verstehen wir sie heute als einen ganzheitlichen Bund, zu dem die Sexualität
auch gehört. In entsprechender Weise kann ich heute nicht mehr glaubwürdig den
Zölibat als feste Lebensgemeinschaft nur ohne körperliche Intimität leben.
Sexualität im weiten Sinne gehört zum Menschsein dazu. Entsprechend hat jede Art
von Beziehung zwischen den Geschlechtern auch eine sexuelle Komponente
("Stufenleiter der Zärtlichkeiten"). Sie verantwortlich zu gestalten ist die
Aufgabe der Beteiligten daher nicht nur in einer Ehe.
Hier steht dem Zölibatären zuweilen die katholische Sexuallehre im Weg, die
hinsichtlich körperlicher Intimität nur ein "alles oder nichts" kennt. Die
entsprechend geprägten "guten Katholiken", deren Phantasie bei der beobachteten
Umarmung eines Priesters mit einer Frau keine Grenzen kennt, erzeugen
zusätzlichen Druck, der Priester vielfach dann in die Heimlichkeit treibt,
wodurch wiederum der Eindruck von "Doppelmoral" entstehen kann.
Mit diesen Überlegungen möchte ich nicht gegen die zölibatäre Lebensweise als
solche sprechen! Im Ordensleben hat sie in jedem Fall ihren unschätzbaren Wert.
Dennoch stellt sich mir die Frage, inwieweit angesichts der genannten
Schwierigkeiten der Zölibat vom Weltpriester zukünftig lebbar ist.
Und noch einen Gedanken möchte ich Ihnen weitergeben. Er stammt aus einem
Gespräch mit einer Gemeindereferentin über den Zölibat. Als ich ihr gegenüber
erwähnte, dass es ja auch Gemeindereferenten gäbe, die zugunsten ihrer Berufung
ehelos bleiben, widersprach sie mir aus eigener Betroffenheit heftig: Nein, das
liege daran, dass es aufgrund der unregelmäßigen Arbeitszeiten und sicher auch
aufgrund des Stehens in der Öffentlichkeit, nicht so einfach ist, einen Partner
zu finden. Viele Kolleginnen, so versicherte sie mir, leiden unter der
ungewollten Ehelosigkeit. Ich schreibe Ihnen das, weil für diese
Mitarbeiterinnen folgender Satz ihres Briefes als Schlag ins Gesicht aufgefasst
werden könnte:
"Christsein aber verwirklicht sich in der Lebensentscheidung für Ehe und Familie
oder für die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen".
CChristsein muss sich doch auch ohne eine solche Lebensentscheidung verwirklichen
lassen! Im Übrigen stehe ich voll hinter der "Erklärung zu den aktuellen
Priestersuspendierungen" der Pfarrer-Initiative, die ich auf der Rückseite
anfüge.
Vielen Dank noch einmal für die große Sorge, mit der Sie sich um diese wichtigen
Fragen Gedanken machen. Das tut gut zu wissen!
Mit freundlichen Grüßen
Christian Ammersbach/p>