Die positive Umdeutung von Pfarrer Dr. Hermann Bockmüll im Würzburger Katholisches Sonntagsblatt 27/2023 von „systemisch - strukturell“ nimmt zum einen nicht die kompetenten Aussagen der Pastoralteologin Schwester Dr. Katharina Ganz ernst; zum anderen verschleiert sie den wirklichen Grund, warum die Treffen des Synodalen Weges scheinbar ihre Wirkung verfehlen.
Eine soziologisch-historische Sicht der Kirche und ihr Werden in der Zeit könnte hier weiterhelfen. Bereits in unserem Studium bei Prof. Dr. Rolf Zerfaß Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurden zwei große Wendepunkte der Kirche aufgezeigt.
Da ist in der frühen Kirche die sog. Konstantinische Wende. Mit ihr wird der Übergang beschrieben von den kleinen Hauskirchen, die verstreut übers Land von Wanderpredigern regelmäßig besucht und spirituell aufgerüstet werden, zu einer amtlich legitimierten, nach den Vorgaben des Römischen Kaisers staatstragenden Großkirche. Diese ist mit verschiedenen Privilegien ausgestattet, übernimmt den religiösen Kult für den Staat und so auch die kultischen Vorbilder, die vormals bei den Römern Heidenpriestern üblich waren.
Öffentliches Ansehen, politische Einflussnahme und wirtschaftliche Absicherung, die der Staat den verbeamteten Priestern und Bischöfen gewährt, gilt es nun zu verteidigen: Wer gibt schon gerne etwas ab, wenn er es doch offiziell haben darf und kann?
Der zweite große Wendepunkt in der Kirchengeschichte ist das Zweite Vatikanische Konzil, beim dem von 1962 bis 1965 bis zu 3.000 Bischöfe der Kirche eine Öffnung hin zur Welt eingeleitet haben, die ganz unterschiedliche Reaktionen ausgelöst haben:
Im sog. „Katakomben-Pakt“ gehen ein kleiner Teil der in Rom tagenden Bischöfe eine Selbstverpflichtung ein, dass sie als arme Kirche mitten unter den Armen das Evangelium verkünden und leben werden. Unter der Leitung von Bischof Dom Helder Camara aus Resife, Brasilien (Die meisten Bischöfe kamen aus Lateinamerika!) wurde diese Kehrtwende mitvollzogen, die das Konzil herbeigeführt hat.
Ein anderer Teil hat die Reihen enger geschlossen und systematisch dieses vom Heiligen Geist gewirkte kirchliche Großereignis auf allen Ebenen torpediert, allen voran Josef Ratzinger im Zusammenwirken mit Karol Wojtyła, der auf seiner ersten Auslandsreise als Papst den nicaraguanischen Priester Ernesto Cardinal öffentlich gemaßregelt hat und so auch die Lateinamerikanische Basisbewegung verworfen hat. Diese Reise war 1979 und das Kirchenrecht wurde zum 1. Advent 1983 so geändert, dass die vier Priesterminister in Nicaragua damit nun exkommuniziert werden konnten. Haarsträubend!
Ein Hoffnungszeichen habe ich gestern aus dem Mund eines Teilnehmers beim Diözesan Forum in Würzburg gehört, der unseren Bischof dabei so wahrgenommen hat: Wir müssen umdenken. Es ist notwendig von den Menschen her zu denken / Kirche von den Menschen her zu denken.
Mich erfreut dies sehr, weil es immer wieder Bischöfe in der Geschichte gegeben hat, die in der Konfrontation mit der Situation der Menschen vor Ort sich bekehrt und radikal sich nun für das eingesetzt haben, was ihnen aufgegangen ist. Oscar Arnulf Romero ist ein solcher Bischof. Als konservativer Vertreter der Machtinteressen von Rom eingesetzt, hat er vor Ort miterlebt, wie ein Priester seiner Diözese durch die Schergen der Mächtigen ermordet wurde: Er predigte nun zu den Armen, nahm Partei für die Verfolgten und redete den Soldaten in El Salvador ins Gewissen, nicht auf ihre Glaubensbrüder zu schießen. Und sein Zeugnis für Jesus und das Evangelium der Liebe Gottes zu allen Menschen hat ihn selber den Tod gebracht: Als Märtyrer wird der Heilige nicht nur in Lateinamerika verehrt!
Gott sei Dank ist es soweit bei uns noch nicht, aber in der Verteidigung der eigenen Privilegien, der Vormachtstellung im Gottesvolk und der Macht, die sie unkontrolliert in Händen halten, agieren heute immer noch viele Amtsbrüder unseres Bischofs Franz.
Um was geht es uns eigentlich?
Um die Kirche oder um die Menschen?
Wer steht bei uns im Zentrum des Nachdenkens, des Planens und des Umstrukturierens: Die traditionell ausgeformte Religiosität der letzten Jahrhunderte oder die geistgewirkte Lebendigkeit, die sich aktiv und positiv mit den Veränderungen unserer Zeit auseinander setzt und im „Erkennen der Zeichen der Zeit“ solche Schlüsse zieht, die uns alle weiterbringen werden.
Exemplarisch möchte ich die drei mir wichtigsten benennen:
Einführung der Gleichberechtigung auf allen Ebenen.
Machtbegrenzung der Amtsträger auf allen Ebenen durch aktive Kontrolle (Gewaltenteilung)
Ämterverteilung nach Neigung und Bildung, nicht aber auf zölibatäre Männer begrenzt.
Wenn wir auf dem Weg des Zweiten Vatikanischen Konzils weitergehen werden und die strukturell und systemisch notwendigen Veränderungen anpacken, dann werden wir eine Zukunft haben. Denn dann wird die Kirche den Menschen dienen, und nicht sich selbst.
Und das Wort von Jacques Gaillot : „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts!“, würde dann nicht mehr auf uns zutreffen.
Johannesberg, 15.07.2023 Nikolaus Hegler, Pfarrer
Pfarrerinitiative Würzburg